Gegensätze hinnehmen und überwinden

Meine Suche nach Gott ist sehr mit der Tatsache verbunden, dass es so viele verschiedene Vorstellungen von ihm gibt. Wenn man dazu neigt, ihn in bestimmten Denominationen finden zu wollen, muss man sich dessen bewusst sein, dass es dort fest etablierte Glaubensbekenntnisse gibt. Fände ich nicht schlimm, wenn man sie als eine Art Arbeitshypothese sehen dürfte, auf der man individuell oder auch in der Gruppe aufbauend arbeiten kann.

Vielleicht gibt es das hier und da. Ich selbst habe eine solche Gruppe – auf Glauben bezogen – noch nicht gefunden. Es ist der Wahrheitsgedanke und der Umgang damit, der es schwer macht, einen oder auch mehrere Glaubenspunkte als fragwürdig zu bezeichnen, um sich dann ohne Feindseligkeit darüber auszutauschen. Da dies überhaupt Thema dieser Glaubensbaustelle ist, will ich hier mal nicht so allgemein bleiben, sondern an einem Beispiel verdeutlichen, das mich für einen längeren Zeitraum in diese notwendige Auseinandersetzung eingebunden hat.

Es geht um Glaubensdifferenzen, die man grob betrachtet in zwei Bereiche unterteilen könnte. Auf der einen Seite stünden dann die Zeugen Jehovas und auf der anderen alle anderen Christen. Natürlich ist es in Wahrheit nicht so zweidimensional zu sehen, aber ein einfacher Einstieg in eine vielschichtige Thematik ist für den ersten Einblick sicher hilfreich, wenn man verstehen will, welche Bedeutung diese Kluft hat, und worauf sie zurückzuführen ist.

Der einfache Einstieg ist in meinem Beispiel ein Disput, auf den ich im Forum eines YouTube-Kanals gestoßen bin, der mich aus persönlichen Gründen sehr berührt. Der Betreiber geht davon aus, dass Zeugen Jehovas Hilfe benötigen, weil sie von fragwürdigen Kräften an eine Lehre gebunden werden, die er aus seiner Sicht als Irrtum empfindet. Was mir an dem Kanal gefällt, ist seine ruhige Art, die für diesen Bereich leider oft sehr typischen Oberflächlichkeiten zu vermeiden, und sehr ausführlich und verständnisvoll mit biblischen Argumenten auf die Lehren einzugehen. Wen das interessiert, der Kanal heißt „Hilfe für Zeugen Jehovas“, die Einstiegsseite ist hier zu finden:

https://www.youtube.com/channel/UC8hSIIq5Gd7yfepcH_pyzNA

Er greift viele biblische Themen auf, die für Gott-Sucher insgesamt interessant sein  dürften, die sich nicht mit einem Mainstream-Glauben zufrieden geben, sondern mehr über das Objekt ihrer Leidenschaft wissen möchten.

Für mich ist hierbei eine Auseinandersetzung bedeutsam, die sich zwischen einem Zeugen Jehovas und einigen anderen Christen ergab. Das Thema dieses speziellen Videos war „Wohin sollten wir gehen?“: https://www.youtube.com/watch?v=Z8aTv2TYblY, und die Diskussion dazu  bewegte sich aufgrund der Einwände des Zeugen und entsprechender Kommentare engagierter Christen in zwei Hauptstränge, wodurch man sehen konnte, wo für ihn, den Zeugen, die Prioritäten lagen: die erste, und für ihn wohl wichtigste war die Frage, ob Gott durch eine bestimmte Organisation mit den Menschen verkehrt, die ausschließlichen Gehorsam fordern dürfte gegenüber allen Lehren, die sie verbreitet, weil er sie um der Einheit willen mit einer einzigartigen und exklusiven Lehrberechtigung ausgestattet hat.

Die zweite Frage war die nach der Trinität Gottes, und in Verbindung damit die Frage, ob man Jesus anbeten darf, was er verneinte. Er ging sogar so weit, dass er den Umgang der Christen im Allgemeinen mit Jesus als einen Jesus-Götzenkult bezeichnete.   

Spätestens hier mag man als Christ geneigt sein zu sagen: „Is‘ gut!“, und sich aus der Diskussion ausklinken, wenn man sie denn überhaupt verfolgt hat. Da die Zeugen aber bei weitem nicht die einzigen sind, die nicht an den dreieinigen Gott nach katholischer Definition glauben, und die Debatte darüber bis fast in die Anfangszeit des Christentums zurückreicht, halte ich es als jemand, der sich fragend und zweifelnd durch die Glaubenswelt bewegt, nicht grundsätzlich für falsch, wenn jemand dieses Thema für diskussionswürdig hält.

Zu dem Wort Jesus-Götzenkult muss ich allerdings jetzt schon etwas sagen. In Bezug auf Götzen und Bilderverehrung sagt er, dass er ausschließliche Ergebenheit forderte, und seine Ehre mit niemandem teilt. Über Jesus aber lesen wir: „Dies ist mein geliebter Sohn, …, hört auf ihn“, und dass der Sohn genauso geehrt werden soll wie der Vater.

Wie diese Auseinandersetzung aber dort in dem besagten Forum geführt wurde, war, bei allem erkennbaren gegenseitigen Respekt, ganz bestimmt für niemanden förderlich, der mit Unsicherheiten in Bezug auf Lehren zu kämpfen hat. Eine von vielen Fragen, die sich mir dabei stellt, ist die nach der Notwendigkeit solcher Debatten um Lehren.

Natürlich bringt der Glaube für jeden, der nicht einfach glaubt was ihm gesagt wird, Fragen mit sich, aber wenn man eine gemeinsame Basis hat, kann man an unterschiedlichen Sichtweisen doch nur wachsen, weil sie den Horizont erweitern. Können.

Wenn dabei aber die Frage nach Wahrheit und Ausschließlichkeit ins Spiel kommt, führt es zu der gegenseitigen Ausgrenzung, wie sie im Glauben leider nur allzu oft zu beobachten ist, und bei vielen sogar als grundlegendes Erfordernis angesehen wird.

Für kurze Zeit hatte ich mich an der Debatte beteiligt, habe aber schnell die Lust verloren an einem ausufernden Ping-Pong Spiel mit Bibelstellen, das keine Bereitschaft erkennen ließ, den Standpunkt des anderen auch nur in Erwägung zu ziehen.

Warum halte ich es für gut, das hier auf der Baustelle zu behandeln? Weil ich solche Auseinandersetzungen unter bestimmten Voraussetzungen trotz allem auch für notwendig erachte. Nicht nur, weil man voneinander lernen kann, wenn es darum geht, eine gewisse Gotteserkenntnis zu erlangen, sondern auch, weil sie mit einer offenen Einstellung dem Anderen gegenüber ein besseres Verständnis für andere Sichtweisen bewirken können. Wer in Gott jemanden sieht, zu dem man eine Beziehung aufbauen, ja sogar ein Freundschaftsverhältnis mit ihm erlangen kann, begnügt sich bestimmt nicht mit in Stein gemeißelten Dogmen, die der Beweglichkeit des Geistes eher nicht gerecht werden.

Die Frage nach der Berechtigung solcher Debatten ist eng mit dem Anspruch verbunden, ob es vorstellbar sein könnte, dass Gott tatsächlich durch eine einzige Organisation handelt. Immerhin waren die ersten Christen eine Gemeinschaft, die sich durch Einigkeit auszeichnete:  bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens! Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung in eurer Berufung: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist. Epheser 4:3-6

Hat allerdings nicht allzu lange gedauert, diese Einheit

 

Ein Blick auf die Entwicklung des Christentums

Die angesprochene Debatte zeigt, wie sich jeder ernsthaft darum bemüht, der Wahrheit, wie er sie sieht, Geltung zu verschaffen. Es gibt jedoch Formen  des Debattierens, die nicht gefestigten Beobachtern schaden können, weil eine zu große Vielzahl von Argumenten Verwirrung stiften kann. Ich selbst bin davon auch gelegentlich betroffen.

Paulus schrieb darüber an Timotheus im ersten Kapitel des ersten Briefes, in den Versen 4 und 5. Es gab Leute, die sich durch das Verbreiten falscher Lehren hervorgetan hatten, die Streitfragen mit sich brachten, „statt dem Heilsplan Gottes zu dienen, der sich im Glauben verwirklicht. Das Ziel der Unterweisung", so Paulus, „ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben".

Ein weiterer Text, der mir dazu einfällt, steht in 1.Kotrinther 4:20, wo es heißt: „Denn nicht in Worten erweist sich die Herrschaft Gottes sondern in der Kraft". Wenn wir uns mit der Frage befassen, wie weit die Lehrbefugnis von Menschen gehen darf, auch oder besonders, wenn sie sich von Gott dazu berufen fühlen, müssen wir die Scheuklappenperspektive verlassen, die nur unser Jahrhundert im Blick hat.

Jesus hat mit seiner guten Botschaft vom Königreich etwas in Gang gesetzt,  das bis zu seinem Kommen bei der „Vollendung der Zeitalter" Gültigkeit behalten sollte. Bis es so weit sein würde, wäre er bei Ihnen, war sein Versprechen.

Er machte aber auch keinen Hehl daraus, dass dies kein glatter Lauf durch die Jahrhunderte sein würde, mit permanentem ununterbrochenem Wachstum - quali- und quantitativ. In Matthäus 13:24-30 veranschaulichte er in einem Gleichnis, wie „ein Feind" Unkraut in ein von einem Gutsherren angelegtes Weizenfeld einbringen würde.

Die Apostel vertieften durch ihre Briefe diese Vorausschau. Das jetzt im Einzelnen zu zerpflücken, würde an dieser Stelle zu weit führen, aber ein unvoreingenommener Blick in die Kirchengeschichte macht jedem klar – oder sollte es zumindest – dass nicht überall, wo Jesus draufstand auch Jesus drin war. Und auch heute nicht ist.

Die Herausforderung, die sich für uns als Beobachter daraus ergibt, findet sich im Gleichnis Jesu selbst,  denn wachsame Mitarbeiter des Landwirts erkannten dies und fragten ihn, ob sie das Unkraut ausreißen sollten. Seine Antwort war klar. Sie sollten das nicht tun, weil sie wegen einer großen Ähnlichkeit versehentlich den guten Weizen mit ausreißen könnten. Diese notwendige Trennung würden am Ende, wenn die Ernte reif sei, kompetentere Diener des Herrn erledigen.

Manche deuten diesen Abfall von der Wahrheit mit sehr klar gezogenen Grenzen und sagen pauschal, dass sich das in den Kirchen erfüllt habe, die sehr schnell mit beeindruckenden Glocken eine Zeit der Finsternis eingeläutet hätten. Da diese Sicht nicht einfach - ebenso pauschal - als falsch dargestellt werden kann, gab es folgerichtig immer wieder Kräfte, die auf das Schädliche an diesem Wandel aufmerksam machten. Als ein Herausragendes, weil allen bekanntes Beispiel, könnte Martin Luther herangezogen werden, besonders sein mutiges Bloßstellen des Ablasshandels. Aber es kamen im Laufe der weiteren Jahrhunderte immer mehr, weil das natürlich nicht der einzige Mangel war, den es zu beklagen gab. 

Da einer neuen Erkenntnis auch immer eine gewisse Macht innewohnt, konnten manche dieser Mahner ihr Wissen nutzen, um auf sich selbst als die von Gott gebrauchten Erneuerer hinzuweisen, und so entstanden verschieden Gruppen, die wohl das gleiche erkannt hatten, aber aus diesem Wissen für sich selbst einen Absolutheitsanspruch in der Lehre ableiteten. Es gibt mehrere solcher Gruppen, die sich wiederum gegenseitig vorwerfen Irrlehrer zu sein.

Der Tenor, den viele gemeinsam haben, ist der Hinweis auf eine Jahrhunderte währende Zeit der Finsternis,  die erst durch ihre exklusive Gruppe wieder Erhellung fand. Wie gesagt: da gibt es mehrere, die sich darum bemühten, und immer noch bemühen, zu den Wurzeln zurückzukehren und das Urchristentum, wie sie es verstehen,  wiederherzustellen.

Wenn man das ernst nimmt, wird man sich aber der Frage stellen müssen, was es denn nun mit Jesu Versprechen auf sich hat, bis zum Ende bei seinen Jüngern zu sein. Bei wem war er während der Zeit, in der angeblich nur noch Finsternis herrschte? Und wie war er bei Ihnen? Wenn Gott immer durch eine Organisation gehandelt hat, wo war denn die geblieben, nachdem die Apostel verstorben waren?

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich die aus der Asche des römischen Reiches aufgestiegene katholische Organisation, die sich christlich nannte, wie eine logische Konsequenz als die schlimmste Verfolgerin der Christen erwies, und den verfolgten Christen blieb nach einem kurzen Aufatmen auch weiterhin wieder nur der Untergrund.

Da mit dem Netz, dem weltweiten, noch nicht zu rechnen war, konnten diese Leute nur sehr geringfügig Kontakt zueinander herstellen, aber sie waren es zunächst, die dafür sorgten, dass wir heute die Schriften, die unsere Bibel ausmachen, benutzen können, um Gott kennenzulernen. Da es keine „wahre und einzige Organisation“ gab, wie hat er denn diese Leute geleitet?

Wie tat er es denn im ersten Jahrhundert? Wie hat er die „Herausgeführten“, also seine „Ecclesia", die Versammlung geleitet? Durch den Heiligen Geist. Sie alle werden als ein Leib beschrieben, mit dem er als das Haupt im Himmel verbunden war. Welche Kraft dieser Geist hat, zeigt sich daran, dass es trotz der Versuche sie auszulöschen immer noch und immer mehr Christen gibt, die sich als wiedergeboren im Geist bekennen.

Was Christus entstehen lassen hat ist keine Organisation sondern ein Organismus, eine lebendige Einheit, deren einzelne Organe mit ihm als dem Haupt verbunden sind. Auf diese Art war er immer bei ihnen als verbindende Kraft. Wer diese Kraft durch menschliche  Anstrengung nachahmen will, indem er eine Organisation mit typisch menschlichen Verwaltungsstrukturen aufbaut,  beweist sicher guten Willen, besonders wenn er sich bemüht, zu zeigen, was in die Geschichte des Christentums an verfälschenden Tendenzen eingeflossen ist. Unbestreitbar braucht es Lehrer, die auch eine Art Wächterfunktion ausüben, darum eben die Gaben, die er den Menschen zurückgelassen hat. Wie Paulus es im Epheserbrief schreibt, gab er einige als Apostel, einige als Propheten, andere als Evangeliumsverkünder. Ging die damit einhergehende Befugnis so weit, dass diese Leute bestimmen durften, wie jemand mit der Belehrung umzugehen hat?

Verschiedene Ermahnungen der Apostel zeigen die Eigenverantwortung der Christen, was den Umgang mit Lehren betrifft. Selbst wenn „wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium entgegen dem verkünden, was wir euch als Evangelium verkündet haben: Er sei verflucht“. Es würde jetzt zu weit führen, alle Stellen anzuführen, die zum Mitdenken und Hinterfragen  anregen. Auf jeden Fall ist erkennbar, dass die Apostel ihre Leiterfunktion und ihre Aufgaben als Verwalter der Gaben anders ausgeübt haben, als es gewisse menschliche Organisationen tun.

 

Missverstandener Führungsanspruch

 

Wenn man Menschen verbietet, eigenständig zu forschen, dann geht das dem Geist entgegen, der die Apostel für ihr Amt befähigte. „Wir sind nicht die Herren über euren Glauben, sondern Mitarbeiter an eurer Freude, denn ihr steht im Glauben". Aber tut man das denn von Seiten der Wachtturmführung – gibt man sich als „Herren“ aus? Dazu genügt es, sie selbst zu Wort kommen zu lassen.

Lade dir die App JW Library herunter und gib in der „online-bibliothek“ in der Suchmaske ein: „billigt es der treue und verständige Sklave“ dann geht ein entsprechender Artikel auf, der einiges über die Erlaubnis eigenständigen Forschens aussagt.

Oder wähle einfach diesen Link: https://wol.jw.org/de/wol/d/r10/lp-x/202007325?q=billigt+es+der+treue+und+verst%C3%A4ndige+Sklave&p=doc

Wenn man der Anregung der Apostel folgen will, zu prüfen, was einem vorgesetzt wird, kann man sich nicht darauf beschränken nur das zu lesen, was man ja gerade hinterfragt. Jemandem so viel Macht über das eigene Leben einzuräumen, setzt Vertrauen voraus, und ich will sagen, warum ich der Wachtturmgesellschaft dieses Vertrauen nicht entgegenbringe – auch wenn ich vieles von dem was sie lehren, teile.

Trotz vieler Einzelwahrheiten denke ich, dass sie falsche Wegweiser setzen, die von ihnen unter Berufung auf ihren Führungsanspruch als nicht hinterfragbar dargestellt werden. Diese kann man in ihrer Komplexität an dieser Stelle nicht auflisten, aber es gibt einen Hinweis Jesu, der nicht so schnell überlesen werden sollte, weil er Schlussfolgerungen nach sich zieht, die ein tieferes Verständnis von ihm als „die Wahrheit" in Person ermöglichen.

Nach Lukas erwähnte er in seiner Endzeitrede auch falsche Propheten, deren Hauptmerkmal in ihrer Verkündigung bestand, dass „die bestimmte Zeit da" sei. Mit diesen Worten begann auch das Verkündigungswerk des Ur-Zeugen Russell und der von ihm aufgerufenen „Kolporteure", die seine Schriften verteilten. Jesus sagte in Bezug auf derartige Verkündiger: „folgt Ihnen nicht nach“, und das aus gutem Grund, wie die weitere Geschichte zeigt.

Besteht denn ein Unterschied zwischen den wiederholten Hinweisen der Apostel, im Sinn zu behalten, dass er nahe sei und der neuzeitlichen Botschaft des Wachtturms? Jesus selbst hatte zur Wachsamkeit aufgerufen, was sein Kommen betraf. Man sollte jederzeit für ihn bereit sein und doch im Sinn behalten, dass wir Tag und Stunde seines Kommens nicht kennen.

Wenn er unter dem Hinweis, auf die neuzeitliche Botschaft: „es ist soweit" sagt, man solle denen, die das verkünden, nicht nachfolgen, kann man sich fragen, worin denn der Unterschied besteht.

Trotz vieler Einzelwahrheiten denke ich, dass sie falsche Wegweiser setzen, die von ihnen unter Berufung auf ihren Führungsanspruch als nicht hinterfragbar dargestellt werden. Diese kann man in ihrer Komplexität an dieser Stelle nicht auflisten, aber es gibt einen Hinweis Jesu, der nicht so schnell überlesen werden sollte, weil er Schlussfolgerungen nach sich zieht, die ein tieferes Verständnis von ihm als „die Wahrheit" in Person ermöglichen.

Nach Lukas erwähnte er in seiner Endzeitrede auch falsche Propheten, deren Hauptmerkmal in ihrer Verkündigung bestand, dass „die bestimmte Zeit da" sei. Mit diesen Worten begann auch das Verkündigungswerk des Ur-Zeugen Russell und der von ihm aufgerufenen „Kolporteure", die seine Schriften verteilten. Jesus sagte in Bezug auf derartige Verkündiger: „folgt Ihnen nicht nach“, und das aus gutem Grund, wie die weitere Geschichte zeigt.

Besteht denn ein Unterschied zwischen den wiederholten Hinweisen der Apostel, im Sinn zu behalten, dass er nahe sei und der neuzeitlichen Botschaft des Wachtturms? Jesus selbst hatte zur Wachsamkeit aufgerufen, was sein Kommen betraf. Man sollte jederzeit für ihn bereit sein und doch im Sinn behalten, dass wir Tag und Stunde seines Kommens nicht kennen.

Wenn er unter dem Hinweis, auf die neuzeitliche Botschaft: „es ist soweit" sagt, man solle denen, die das verkünden, nicht nachfolgen, kann man sich fragen, worin denn der Unterschied besteht.

Wie hat sich denn das Verkündigen nach Wachtturmart auf die gute Botschaft ausgewirkt, und auf die eigene Glaubwürdigkeit sowie die des Gottes, den zu verkündigen man vorgibt? Ein Satz Moses mag helfen das zu verstehen. Sinngemäß sagt er, wenn ein Prophet im Namen Jehovas redete, und was er redete traf nicht ein, dann habe er – Jehova – ihn nicht gesandt, und man sollte nicht vor ihm „erschrecken" (5.Mose 18:21,22). 

Daraus folgt erstens, dass eine Verkündigung im Namen Jehovas noch kein Indiz für Richtigkeit ist, und zweitens dass man unter einer solchen Beweislage nicht auf diese Leute hören sollte.

Nebenbei trägt das auch dazu bei, dass der Name mit falschen Vorhersagen assoziiert wird, und man ihn somit ganz bestimmt nicht ehrt. Ein ganz besonderes Gewicht kommt dabei der Aussage in Bezug auf 1925 zu. Der damalige Präsident schrieb, dass zuverlässige biblische Berechnungen bewiesen, dass in jenem Jahr die Auferstehung beginnen würde, und etwa zu der Zeit gab es den „welterschütternden" Vortrag „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben“.

Dass der weitaus größte Teil dieser Millionen bereits tot ist, ist wohl der offenkundigste Beweis für eine falsche Prophetie  aber auch Abraham und Noah haben sich noch nicht offiziell vorgestellt. Da kann man dann auch ansetzen, wenn es darum geht die weiteren Sonderlehren zu betrachten, die derselbe Mann etwa zur selben Zeit aufstellte, besonders die, dass es zwei Klassen von Christen gibt, was man u.a. mit Jesu Worten über die Anderen Schafe begründet (Johannes 10:16). Daraus wiederum zieht man den Schluss, dass angeblich vieles, worauf man als Bibelleser sein Leben in Christus begründet, auf heutige Christen nicht anzuwenden ist, weil das nur für die von den anderen abgegrenzten „Gesalbten" gelte.

Da 1925 noch lange vor meiner Zeit lag, kann ich mehr zu 1975 sagen, weil ich den Hype um dieses Jahr selbst erlebt habe, und darum auch weiß, was von der Behauptung zu halten ist,  da seien nur einige über das Ziel hinausgeschossen oder der Organisation vorausgeeilt. Doch damit gehe ich schon wieder zu sehr in die Einzelheiten. Hebe ich mir für später auf.

Tatsache ist jedenfalls, dass sehr viele Menschen sich den Zeugen angeschlossen haben, weil der Verkündigungsfeldzug mithilfe des Buches „Die Wahrheit die zu ewigem Leben führt“, das Königreich Gottes mit zwei wichtigen Daten verband. Man brachte den biblisch begründeten „Nachweis“, dass das Reich 1914 im Himmel aufgerichtet worden sei, und dass 1975 6000 Jahre Menschheitsgeschichte abgelaufen wären, was den Schluss nahelegt, dass in jenem Jahr dieses „böse System der Dinge“ durch eine „Neue Ordnung“ abgelöst werden würde.

Die Art, wie intern im Allgemeinen darüber gesprochen wurde, führte dazu, dass in den Köpfen Harmagedon, der „Krieg des großen Tages Gottes“ mit dem Datum fest zu verwachsen begann. Manche Versammlungsglieder mahnten, die Zeitangaben über die 6000 Jahre mit dem „Ende“ mit gesunder Skepsis zu betrachten, und sich nicht zu sehr darauf zu fixieren. Für solche Leute gab es auf dem internationalen Kongress „Friede auf Erden“ eine diskriminierende Ansprache, um solche Kritik im Keime zu ersticken.

Wichtig ist dabei auch noch das Impressum des Wachtturms, wo bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu lesen war, die Zeitschrift sei Jehova gewidmet, dem Gott, der zuverlässig verheißen hätte, dass die Generation, die das Jahr 1914 erlebte auch das Ende dieses Systems erleben würde. Nochmal: Zuverlässig verheißen.

Das Wissen, dass man als Gemeinschaft die einzige war, die diese wunderbaren Dinge erkannte, bot genug Halt, um die Leitung, die diese einmalige Erkenntnis vermittelte, als die einzig wahre anzusehen, und damit auch ohne Probleme alle anderen Lehren zu akzeptieren, weil niemand sonst verkündigte, dass die biblisch begründete Lehre eine Abkehr von fast allem beinhaltete, was für Christen Standard war.

Der letzte Punkt verdient noch eine differenziertere Betrachtung, weil der mich letztlich dazu bewegte, diesen Artikel zu verfassen. Es hängt auch mit dem eingangs erwähnten Streit zusammen. Ich erhoffe mir von meiner Auseinandersetzung damit, dass es möglich sein könnte, Prioritäten neu zu setzen und die Schnittmengen zu erkennen, die zu der gegenseitigen Ausgrenzung führen, und daraus einen Blick für die Gemeinsamkeiten zu entwickeln, und somit zu erkennen, was einen verbindet. Ich denke, ich werde das als Fazit an den Schluss stellen.

Zurück zum Wachtturm: Die Sonderstellung, die man sich zusprach, weil es sonst niemanden gab, der den Namen Gottes heiligte und das bevorstehende Ende predigte, ließ neben den Sonderlehren über die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch eine besonders hervorzuhebende Frage aufkommen:

Was ist Einheit in Christus - und wer ist er überhaupt?

Wird fortgesetzt.